Berlin, 18.01.2022
Endlich ist er also da – der Referentenentwurf zur Streichung des Paragrafen 219a StGB – gestern vorgestellt von FDP-Justizminister Marco Buschmann. Nicht erst seit der ersten Verurteilung Kristina Hänels vom Amtsgericht Gießen ist aus Sicht des Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung klar, dass es sich beim „Werbe“verbot, genauso wie bei §218 StGB, um eine Relikt der Vergangenheit handelt. Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung begrüßt daher ausdrücklich, dass die Sanktionierung von sachlichen Informationen zum Schwangerschaftsabbruch endlich abgebaut wird.
§219a StGB ist nicht das erste Mal Gegenstand der politischen Debatte: Die Reform von 2019, beschlossen von der Großen Koalition, baute bestehende Hürden zu Informationen kaum ab: Es wurde zwar § 219a Absatz 4 StGB eingeführt, der Ärzt*innen, Krankenhäusern und Einrichtungen erlaubte, mitzuteilen, dass sie einen Schwangerschaftsabbruch durchführen. Die volle Weitergabe von relevanten Informationen, wie die durchgeführte Methode des Abbruchs, blieb aber weiterhin verboten. Dass Schwangere ein nachvollziehbares Interesse haben, sich vorher umfassend und sicher über die Methodik des Abbruchs informieren zu wollen, da Schwangerschaftsabbrüche auf unterschiedliche Art und Weise durchgeführt werden können, wurde 2019 zu wenig berücksichtig. Besonders in Deutschland spielt diese Entscheidung tatsächlich eine große Rolle, da, trotz entgegenstehender Empfehlung der WHO, immer noch etwa 15% der Schwangerschaftsabbrüche über die Curretage (Ausscharbung) durchgeführt. Alternativ steht der medikamentöse Abbruch bis zur 9. Schwangerschaftswoche oder die Vakuumaspiration zur Verfügung, die beide mit deutlich weniger Risiken verbunden sind.
Dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit einer Streichung von § 219a StGB , der immer wieder von der Union erhoben wird, tritt der Bundesjustizminister heute mit dem Referentenentwurf klar entgegen. Somit erfreut der Entwurf durchaus, wenn er sich deutlich für freie Informationen für Schwangere einsetzt und klar definiert, dass eine Verschleierung von Informationen nicht zielführend sein kann.
Mehr progressive Kraft ist dem Entwurf allerdings leider nicht zu entnehmen. Denn bei der Lektüre des Gesetzesentwurf, bei aller nachvollziehbarer Euphorie für Ärzt*innen und ungewollt Schwangere, muss auch zwischen den Zeilen gelesen werden: Die generelle Wirksamkeit des Beratungsmodells wird mehrmals betont, wobei der Rückgang der Abbruchsquote als Beleg verwendet wird. Inwiefern es sich dabei um tatsächliche Kausalität oder reine Korrelation handelt, bleibt offen. Das dahinterliegende System, das auf einer Kriminalisierung der Schwangeren beruht, wird in keiner Weise in Frage gestellt, ja in gewisser Weise sogar betont. Maßstab einer jeden Gesetzesänderung scheint im konservativen Rechtsdiskurs das Urteil des Verfassungsgerichts von 1993 zu bleiben, das beinahe 30 Jahre alt und aus menschenrechtlicher Perspektive rückständig ist. Daran rüttelt auch der neue Referentenentwurf leider nicht. Althergebrachte Bilder, die die Schwangere als konfliktbelastet darstellen, werden erzeugt. Die Schwangere ist und bleibt gefangene Entität, die mit der Entscheidung ringt, und zu ringen hat. Inwiefern sich anhand einer solch zögerlichen Begründung eine Entkriminalisierung des §218 StGB, die laut Koalitionsvertrag zumindest geprüft werden soll, vollziehen lässt, bleibt abzuwarten. Nicht zuletzt werden wir als Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung die Taten der Ampelkoalition insbesondere in Hinblick auf die Verbesserung der Versorgungslage, die dringend geboten ist, messen. Im kommenden Verlauf des Gesetzgebungsverfahren ist dem Gesetzgeber noch zu wünschen, einen Blick über den deutschen Tellerrand hinaus zu werden. Denn leider vermisst der Referentenentwurf jeglichen Bezug zum internationalen Recht, wie der UN-Frauenrechtskonvention, dessen Empfehlungen Deutschland seit Jahren im Hinblick auf den kriminalisierten Schwangerschaftsabbruch ignoriert.
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Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung ist ein breites Bündnis aus Beratungsstellen, verschiedenen feministischen und allgemeinpolitischen Gruppen, Verbänden, Gewerkschaften und Parteien sowie Einzelpersonen. Seit seiner Gründung 2012 organisiert es Proteste gegen den jährlich stattfindenden, bundesweiten “Marsch für das Leben”. Neben der Streichung des Paragraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch fordert das Bündnis eine geschlechter- und kultursensible Sexualaufklärung für alle sowie eine angemessene Unterstützung für jene, die sich für ein Kind entscheiden, damit sie ihre eigene Lebensplanung aufrechterhalten können.