Pressemitteilung
Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung zieht positive Bilanz zu zweiter Kundgebung am Brandenburger Tor. Mehrere hundert Menschen protestierten friedlich in Berlin gegen christlichen Fundamentalismus. Bündnis ruft Politik zum Handeln auf.
„Religiöse Vorstellungen einzelner Gruppen dürfen in einer freiheitlichen Gesellschaft niemals wieder zum moralischen oder gar gesetzlichen Maßstab für das Leben aller Menschen werden.“ Das sagte Sybill Schulz vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung am Samstagabend nach Abschluss der diesjährigen Bündnis-Kundgebung auf dem Platz des 18. März. Schulz betonte, dass Mädchen und Frauen, ob homosexuell oder heterosexuell, heute prinzipiell ihre individuelle Sexualität und Familienplanung frei und selbstbestimmt leben können, stelle eine über mehr als 200 Jahre erkämpfte Errungenschaft dar. „Wir dürfen das Recht auf freie Entscheidung nicht dem Zeitgeist opfern, der unter dem Eindruck des demografischen Wandels, aufgeheizter Debatten um Migration und einer allgemeinen sozialen Krise steht.“ Daher sei es erfreulich, dass die Forderungen des Bündnisses auf wachsenden gesellschaftlichen und auch politischen Rückhalt stoßen.
Rund 600 Besucher*innen der Kundgebung des Bündnisses protestierten am Nachmittag vor dem Brandenburger Tor gegen die Aktivitäten und Ziele der beim „Marsch für das Leben“ vertretenen Gruppen. Diese fordern unter anderem, das Recht von Frauen, eine ungewollte Schwangerschaft rechtzeitig zu beenden, abzuschaffen. Homophobe und diskriminierende Haltungen, die keine gleichberechtigte Stellung von nicht-heterosexuellen Individuen und Paaren in allen Bereichen der Gesellschaft akzeptieren wollen, sind unter den Teilnehmern des Marsches stark verbreitet. Diese Gruppen sind Teil eines internationalen Netzwerkes, deren Mitglieder sich in vielen Ländern für die Einschränkung der Rechte und gegen die gleichberechtigte Stellung von Männern, Frauen und LGBTI einsetzen.
Dass gesetzliche Verbote im Bereich der Familienplanung keinerlei positive Wirkungen haben, illustriere deutlich die Lage in Ländern wie Polen. Das unterstrich die polnische Aktivistin Ellisiv Rognlien auf der Kundgebung in Berlin. In Polen gebe es offiziell nur rund 700 „legale“ Schwangerschaftsabbrüche jährlich. „Organisationen für das Recht auf Abtreibungen schätzen sie auf mindestens 100.000 im Jahr. Es gibt einen riesigen Abtreibungsuntergrund – der allerdings nur denen zugänglich ist, die sich das finanziell leisten können.“ Die insgesamt bis zu sechs Millionen Frauen in der Bevölkerung, die eine Schwangerschaft trotzdem und vielfach auf riskante oder sogar gefährliche Weise beendet haben, „werden zum Schweigen verurteilt und herabgewürdigt“, berichtete Rognlien weiter. Sogar Frauen, die definitiv lebensunfähige Föten in sich tragen, wurden schon unter schrecklichen psychischen und physischen Strapazen zum Austragen der Schwangerschaft gezwungen, so Rognlien.
Ulrike Haase, Sprecherin von der LAG selbstbestimmte Behindertenpolitik der LINKE, sagte: „Wir treten dafür ein, das behinderte Frauen mit Kinderwunsch ein ungehindertes Recht und den Anspruch auf Unterstützung haben, um das Kind zu kriegen, ob das Kind behindert ist, oder nicht. Umgekehrt darf eine behinderte Frau jedoch nicht dazu verpflichtet werden, eine ungewollte Schwangerschaft austragen zu müssen. Auch dann nicht, wenn das Kind ohne Behinderung zur Welt käme.“
Haase hob in ihrer Rede die Forderung des Bündnisses nach der „ersatzlosen Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch“ hervor, denn „durch Kriminalisierung von Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen, wird weder ein behindertes Kind noch eines ohne Behinderung mehr geboren.“ Wichtig sei vielmehr, dass es einen ungehinderten und barrierefreien Zugang zu gynäkologischer Beratung und Versorgung gäbe, damit behinderte Frauen ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wahrnehmen können.
Unterstützende Worte für das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung äußerten Politikerinnen von SPD, LINKE und Bündnis 90/Die Grünen sowie der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, in einem Grußwort an das Bündnis: „Unser Land ist bunter und toleranter geworden. Frauen und Männer leben in vielen unterschiedlichen Formen zusammen. Aber: Es gibt immer wieder Versuche, das Rad zurückzudrehen. Das dürfen wir nicht zulassen.“
Sybill Schulz appellierte deshalb erneut an Politik und Gesellschaft, endlich kinder- und familienfreundliche Arbeits- und Lebensbedingungen zu schaffen. Die öffentliche und politische Thematisierung der existierenden Probleme dürfe nicht der Propaganda von Fundamentalisten und Nationalisten überlassen werden. „Wir fordern die notwendigen Rahmenbedingungen für ein Leben, in dem alle Menschen ihre jeweilige Sexualität und ihre vielfältigen Familienmodelle leben können, ohne durch die Vorstellungen christlicher Fundamentalisten oder religiöser Extremisten bevormundet, diskriminiert und stigmatisiert zu werden.“