Anlässlich der Bundestagsdebatte zu § 219a StGB am 22. Februar 2018 hatte sich die Vorsitzende des pro familia Bundesverbands, Prof. Dr. Davina Höblich, in einem Schreiben an alle im Bundestag vertretenden Fraktionen gewandt. Darin appellierte sie an die Abgeordneten, die Chance zur Streichung des § 219a StGB zu nutzen.
Dankenswerterweise dürfen wir hier die Argumente aus dem Schreiben erneut veröffentlichen und hoffen, dass diese zu einer sachlicheren und faktenbasierten Debatte führen, da in der aktuellen Diskussionen verschiedene Argumente vorgebracht werden, um sich gegen eine Änderung oder Streichung des § 219a StGB zu stellen.
Bereich zu § 219a StGB auf der pro familia-Homepage
1. Das Schutzkonzept für ungeborenes Leben bleibt auch ohne § 219a StGB gesichert.
Es wird verwirklicht durch die §§ 218, 218a-c, 219 StGB, hier insbesondere die Beratungsregelung und das darauf basierende SchKG. Wenn Frauen Ärztinnen und Ärzte für die medizinische Versorgung zum Schwangerschaftsabbruch suchen, hat die gesetzlich vorgeschriebene Beratung in einer anerkannten Beratungsstelle bereits stattgefunden. Damit ist ein Schwangerschaftsabbruch straffrei möglich.
2. Es ist wertungswidersprüchlich, wenn ein bloßer Hinweis auf die Durchführung von nach § 218a StGB nicht strafbaren Schwangerschaftsabbrüchen und damit auf straffreies ärztliches Handeln dazu führt, dass gegen Ärztinnen und Ärzte strafrechtlich ermittelt wird.
Dies führt zu einer eklatanten Rechtsunsicherheit und letztlich dazu, dass sich zunehmend Ärztinnen und Ärzte aus der medizinischen Versorgung zurückziehen. Bereits heute schon gibt es ernstzunehmende Hinweise auf medizinische Versorgungsdefizite auf diesem Gebiet.
3. Eine Normalisierungsgefahr des Schwangerschaftsabbruchs zu beschwören geht insofern fehl, als der Staat selbst die angemessene Durchführung straffreier Schwangerschaftsabbrüche als „Staatsaufgabe“ (BVerfGE 88, 203, 328) gewährleisten will.
Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärztinnen und Ärzte eröffnet, muss es diesen Professionellen ohne negative Folgen für sie möglich sein, über eben dieses Angebot zu informieren.
4. Das Argument, eine Abschaffung des § 219a StGB bagatellisiere Schwangerschaftsabbrüche, ist nicht zutreffend.
Die Beibehaltung des § 219a StGB wird u.a. damit begründet, dass eine Bagatellisierung von Schwangerschaftsabbrüchen drohe. Dieses Argument ist nicht zutreffend: Ungewollte Schwangerschaften wird es immer geben. Der Studie der BZgA Frauenleben 3 (2016) zeigt aber auch, dass sich die Mehrheit der ungewollt schwangeren Frauen gegen einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden: „Ungewollte Schwangerschaften werden landläufig mit einem Schwangerschaftsabbruch gleichgesetzt. Das ist definitiv falsch, denn mehr als jede zweite ungewollte Schwangerschaft (57%) wurde ausgetragen, dagegen wurden nur 43% der ungewollten Schwangerschaften abgebrochen.“ Die Entscheidung, schwanger zu bleiben oder nicht, trifft keine Frau leichtfertig. Der § 219a StGB aber schränkt Frauen in ihrer Informationsfreiheit und ihren Persönlichkeitsrechten unverhältnismäßig ein.
5. Eine Streichung des §219a StGB führt nicht zu einem rechtlichen Vakuum.
Das ärztliche Berufsrecht fixiert Rechte und Pflichten zu sachgerechter und angemessener Information vs. Verbote von anpreisender, irreführender oder vergleichende Werbung. Sollte eine bundeseinheitliche Regelung über das ärztliche Berufsrecht angestrebt werden, bieten sich dazu das SchKG ebenso an wie das Heilmittelwerbegesetz. Eine bloße Reform des § 219a StGB würde Auslegungsspielräume bestehen lassen, die – wie schon heute – geeignet sind, Druck auf Ärztinnen und Ärzte ausüben.
6. Beratungsstellen und Behörden können zwar ergänzend über Ärztinnen und Ärzte informieren, die Abbrüche durchführen, aber diese Kannbestimmung führt nicht dazu, dass Informationssuchende wirklich in der notwendigen Gänze informiert werden.
Zum einen gibt es nur wenige kommunale oder Landesbehörden, die diese Informationen überhaupt oder niedrigschwellig vorhalten. Beratungsstellen können nur über die Ärztinnen und Ärzte informieren, die sie kennen. Es sind diejenigen, die meist im unmittelbaren Umfeld praktizieren. Da sich nur wenige Ärztinnen und Ärzte aktiv in Beratungsstellen melden, müssen Informationen beständig recherchiert werden, ebenso weil sich Praxisleistungen schnell ändern. Zudem bieten die auf Listen benannten Ärztinnen und Ärzte die Abbrüche häufig nur ihren eigenen Patientinnen an und nicht generell. So bleiben diese Listen bei Beratungsstellen nur bedingt aussagefähig. Zum anderen aber darf selbst eine vorhandene Informationsmöglichkeit bei Beratungsstellen oder Behörden das Informationsrecht und darüber hinaus die freie Arztwahl von Frauen nicht einschränken. Eine solche Einschränkung ist Zeichen inhärenter Diskreditierung und erschwert die notwendigen Abläufe zu Entscheidungen, die schon verantwortungsvoll getroffen worden sind. Wichtig in diesem Kontext ist nicht nur das Recht von Frauen auf Information, sondern ihr Recht auf neutrale Informationen.