Jedes Jahr im September startet vor dem Bundeskanzleramt in Berlin ein „Marsch für das Leben“. Christliche Fundamentalist*innen und führende Mitglieder der AfD fordern dabei das totale Verbot eines Schwangerschaftsabbruches und die Bestrafung von Frauen sowie operierenden Ärzt*innen. Die Gegner*innen eines Schwangerschaftsabbruches versuchen eine Stimmung zu erzeugen, in der dieser als unmoralisch oder gar als Mord angesehen wird. Darüber hinaus wenden sie sich gegen jede Art von Lebensentwürfen außerhalb christlich-traditioneller Normen. Der politische Aufstieg der AfD und die Kommentare einzelner AfD-Vertreter*innen im Kontext von Schwangerschaftsabbruch und sexueller Vielfalt verdeutlichen die Gefahr, die von den selbsternannten Lebensschützern ausgeht.
Die Teilnehmer*innen des „Marschs für das Leben“ vertreten ein rückständiges Weltbild, in dem der Schwangerschaftsabbruch als „vorgeburtliche Kindestötung“ dargestellt wird. Sie sprechen von „Babycaust“ und relativieren so den nationalsozialistischen Holocaust. Ihr Begriff des „Lebensschutzes“ beinhaltet die totale Kontrolle der Frau und die Herstellung der „alten Ordnung“ mit der „heiligen Familie“ im Zentrum. Mädchen und Frauen soll die Selbstbestimmung über ihr eigenes Leben und ihren Körper verwehrt werden.
Die in Deutschland gelebte Realität sieht jedoch anders aus. Wir leben in vielfältigen, selbst gewählten Zusammenhängen, in Patchwork-Familien, als gleichgeschlechtliche Paare, als Alleinerziehende, in zeitweiliger Partnerschaft, in Wohngemeinschaften, mit und ohne (eigene) Kinder.
Die Gegner*innen des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch organisieren militante Aktionen wie „Gehsteigberatungen“ vor medizinischen Einrichtungen und schüchtern Frauen ein, die Hilfe suchen. Sie verbreiten Lügen über den Schwangerschaftsverlauf, über biologische Fakten und die psychischen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs. Sie diffamieren Mediziner*innen als „Massentöter“, verleumden Fachkräfte auf Internetseiten und verhindern – wie in Stuttgart geschehen – die Eröffnung entsprechender medizinischer Einrichtungen. Sie üben – wie in Nordrhein-Westfalen – Druck auf Kliniken aus, sodass nach einer Vergewaltigung weder Untersuchungen noch ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen werden. Sie machen – wie z.B. in Baden-Württemberg – gegen eine offene Sexualaufklärung an Schulen mobil. Sie instrumentalisieren das Thema Behinderung, indem der Schwangerschaftsabbruch als Mittel zur Aussonderung von Krankheit und Behinderung dargestellt wird.
Es ist deshalb an der Zeit, diesen reaktionären Kräften entgegenzutreten und ihren zunehmenden politischen und gesellschaftlichen Einfluss zu stoppen. Wir rufen darum zu Aktionen am 17. September 2016 in Berlin am Brandenburger Tor auf.
Wir fordern
- eine geschlechter- und kultursensible Sexualaufklärung für alle
- umfassende Informationen über und den kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln
- die kostenfreie Vergabe der „Pille danach“ als Notfallverhütung
- den uneingeschränkten Zugang zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch und die Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch
- die umfassende rechtliche Anerkennung aller Formen des Zusammenlebens
- soziale und ökonomische staatliche Unterstützung und die notwendige Infrastruktur für alle, die sich für ein Kind entscheiden, damit sie ihre eigene Lebensplanung aufrecht erhalten können
Sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht! Wir rufen die Bundesregierung und die Parteien auf, dafür zu sorgen, dass alle Menschen diskriminierungsfrei über ihre Familienplanung und ihr Sexualleben entscheiden können und bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützt werden – unabhängig von ihrer Herkunft, sexueller und geschlechtlicher Orientierung oder der sozialen, ökonomischen und gesundheitlichen Situation.
Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung