Verbote und Restriktionen zu Sexualität und Fruchtbarkeit – Wo stehen wir heute und wo wollen wir hin?

Der folgende Beitrag entstand im Rahmen der Konferenz »Mein Körper – meine Verantwortung – meine Entscheidung: Weg mit § 218!«, welche am 9./10. Juli 2016 in Berlin stattfand. Es handelt sich dabei um ein Vortragsmanuskript des Gynäkologen Dr. Christian Fiala.

Warum gibt es überhaupt Verbote und Restriktionen zu Sexualität und Fruchtbarkeit?

Diese wurden von Monarchien, Diktaturen und kriegsführenden Staaten ausschließlich deshalb eingeführt, damit die Herrschenden eine größere Bevölkerung und mehr Soldaten für ihre Kriege haben. Es ging historisch nie um ethische Überlegungen, weder um die Kinder noch um die Frauen, sondern nur um Macht. Das Verbot des Abbruchs ging immer einher mit einem Verbot der Verhütung, beides als Methode der staatlichen Bevölkerungsvermehrung. Konsequenterweise war aus der Sicht der Machthaber Völkermord ein ähnliches Vergehen wie der Schwangerschaftsabbruch und in Deutschland bis ins Jahr 2002 mit dem Paragrafen 220 geahndet. (Diese Zwangsmaßnahmen haben übrigens nicht zu einer höheren Geburtenrate geführt.)

Mit dem Aufkommen von Demokratie wollten die Menschen aber nicht nur ihr äußeres Leben selbst bestimmen, sondern auch die intimsten Lebensaspekte. Deshalb gibt es seit den 1920er Jahren Bemühungen, die Verhütung und den Abbruch zu legalisieren, so zum Beispiel die beiden Ärzte Else Kienle aus Stuttgart und Friedrich Wolf in Berlin. Allerdings war dies erst in den 1960er und 70er Jahren erfolgreich.

Wo stehen wir heute?

Es hat zwar lange gedauert, aber seit dem Ende der Monarchie haben wir uns in den demokratischen Staaten sehr viel Selbstbestimmung erkämpft, seit der Erfindung der Pille auch in der Sexualität. Allerdings gibt es in allen Ländern immer noch Reste der aus der Monarchie stammenden Bevormundung in diesem intimen Lebensbereich.

Diese sind in je nach Land ganz unterschiedlich. In England benötigen Frauen zum Beispiel die Unterschrift von zwei Ärzten, die bestätigen müssen, dass sie sich in einer Notlage befindet; in Ungarn müssen Frauen zweimal zu einer staatlichen Belehrung (offiziell aber fälschlicherweise als Beratung bezeichnet) und in Österreich gibt es keine Kostenübernahme, weder für Verhütung noch für den Abbruch, nicht einmal für Frauen mit geringem Einkommen.

Ferner ist der Schwangerschaftsabbruch überall in den Industrieländern immer noch verboten und nur unter gewissen Bedingungen straffrei. Die einzige Ausnahme ist Kanada, wo der Oberste Gerichtshof bereits 1988 das damals geltende Strafgesetz zum Abbruch ersatzlos gestrichen hat.

Gelegentlich überholt die technische Entwicklung die politischen Prozesse. So würde der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch eine maximale Autonomie der Frau ermöglichen. Aber anstatt dieses sichere Medikament in die Hand von Frauen zu geben, wird es in allen Ländern nur durch Ärzte und restriktiv abgegeben. Interessanterweise ist Indien derzeit das einzige Land, in welchem Frauen das Medikament selbst kaufen und anwenden können. Wir werden sehen, wie lange es dauern wird, bis sich Frauen aus aller Welt die Tabletten aus dem Urlaub in Indien mitbringen.

Das heißt, in allen anderen Ländern müssen sich Frauen immer noch bevormunden lassen, wenn sie zu dem Schluss kommen, dass sie derzeit kein Kind verantwortungsbewusst ins Leben begleiten können. Gemeinsam ist all diesen Restriktionen, dass sie nicht auf einer medizinischen Begründung basieren, absolut willkürlich sind und aus Sicht der Menschenrechte eine generelle Beleidigung von Frauen darstellen. Frauen wird damit ihr Recht auf Selbstbestimmung aberkannt, sobald sie sich mit einer Schwangerschaft gegen die soziale Erwartungshaltung entscheiden.

Interessanterweise gibt es auch heute noch politische Stimmen, welche mehr Kinder für den Staat fordern, unabhängig davon, wie es den Frauen und Kindern geht. Diese Forderungen und der dahinterstehende politische Geist sind historisch eine Konstante, nur der Vorwand hat sich den demokratischen Rahmenbedingungen angepasst: Während früher mehr Kinder für den Kaiser oder Führer gefordert wurden, wird die gleiche Forderung heute wegen der Pensionskassen erhoben.

In den Entwicklungsländern ist der Abbruch fast überall noch verboten, weil dort immer noch die mittelalterlichen Gesetze der ehemaligen Kolonialmächte gelten. Konsequenterweise sind die Zustände dort auch genau die gleichen wie in Europa vor der Legalisierung: eine hohe Müttersterblichkeit.

Wo wollen wir hin?

Gerade in einer Demokratie ist es absurd, dass wir unsere politischen Vertreter wählen und diese uns dann Vorschriften in unserem intimsten Lebensbereich machen.

Ferner zeigt alle historische Erfahrung eindeutig, dass nur jeder selbst eine verantwortungsvolle Entscheidung über seine Sexualität und Fruchtbarkeit treffen kann. Jede Einmischung von außen, durch Staat oder Kirche führt zu negativen oder katastrophalen Konsequenzen. Es ist deshalb an der Zeit, dass sich Staat und Kirche aus den Schlafzimmern zurückziehen, sich auf deren wesentliche Aufgaben besinnen und für die Menschen Rahmenbedingungen schaffen, damit diese sich frei in dem intimsten Lebensbereich entscheiden und entfalten können.

Die ersatzlose Streichung des § 218 ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

In Wien hatten wir letztes Jahr eine Podiumsdiskussion dazu, welche online verfügbar ist: http://de.muvs.org/museum/podiumsdiskussion/

Mehr zum Thema unter www.gynmed.at, www.muvs.org.

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