Polnische Aktivistin von Ruch Sprawiedliwości Społecznej (Bewegung für soziale Gerechtigkeit)
Liebe Freundinnen und Freunde!
Solidarische Grüße von Aktivistinnen und Aktivisten in Polen, die dort für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch kämpfen.
Für uns ist es wichtig, Teil einer internationalen Bewegung für das Recht der Frauen zu sein, über ihren Körper und ihr Leben selbst zu bestimmen.
In Polen gilt ein besonders restriktives Abtreibungsrecht. Wir haben jetzt 20 Jahre Erfahrung mit einer Gesetzgebung, die Frauen entwürdigt und unterdrückt und uns zu reinen Gebärmaschinen machen soll.
Das Gesetz zum Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen wurde im Jahr 1993 auf Druck der Kirchenobrigkeit erlassen. 1,7 Millionen unterzeichneten die Forderung nach einer Volksabstimmung über diese Frage – die Regierung hat sie ignoriert.
Seitdem ist der Schwangerschaftsabbruch bis auf drei Ausnahmen illegal:
- Wenn das Leben oder die Gesundheit der Frau durch die Schwangerschaft gefährdet ist
- Wenn der Fötus Anzeichen einer lebensbedrohlichen oder unheilbaren Krankheit oder Behinderung aufweist
- Wenn es einen triftigen Grund für die Annahme gibt, dass die Schwangerschaft durch Vergewaltigung zustande kam.
Wer einer Frau zu einem Schwangerschaftsabbruch verhilft, muss mit einer Gefängnisstrafe rechnen, das gilt auch für die Ärztinnen oder Ärzte, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Die Frau selbst bleibt straffrei.
Die Praxis sieht noch sehr viel restriktiver aus als der Gesetzestext.
Die Ärzte trauen sich nicht, der Schwangeren eine Gefahr für ihr Leben oder ihre Gesundheit zu attestieren. Sie trauen sich nicht, eine Bescheinigung für den Schwangerschaftsabbruch auszustellen oder diesen vorzunehmen. Im Fall der Vergewaltigung bedarf es der Betätigung der Staatsanwaltschaft, was ziemlich lange dauert. Die betroffenen Frauen werden von einer Stelle zur nächsten geschickt, ohne einen legalen Schwangerschaftsabbruch zu erhalten. Nur rund 700 Abtreibungen im Jahr finden in Polen „legal“ statt. Frauen müssen sehr große Hürden – ideologischer wie praktischer Art – überwinden, um ihre ohnehin sehr eingeschränkten Rechte durchzusetzen.
Selbstverständlich liegt die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Wirklichkeit deutlich höher. Organisationen für das Recht auf Abtreibung schätzen sie auf mindestens 100.000 im Jahr. Es gibt einen riesigen sogenannten Abtreibungsuntergrund – der allerdings nur denen zugänglich ist, die sich das finanziell leisten können. Er besteht aus privaten Kliniken, „Abtreibungstourismus“ in Länder mit einer humaneren Gesetzgebung oder Zugang zu unterschiedlichen pharmazeutischen Mitteln. Die Kosten können einen Monatslohn oder mehr für eine Arbeiterin betragen, für arme Frauen ist es unerschwinglich.
Dieses restriktive Gesetz geht den Rechten und der Kirchenobrigkeit immer noch nicht weit genug. Aus ihrer Sicht sind die extrem niedrigen offiziellen Abtreibungszahlen noch zu hoch. Sie wollen auch die kleine Gruppe Frauen angreifen, die sich in einer sehr verzweifelten, schwierigen Lage befinden und ihnen ihre Rechte nehmen.
Es gab bereits mehrere Vorstöße im Parlament, das Abtreibungsrecht weiter zu verschärfen oder Schwangerschaftsabbrüche vollständig zu verbieten. Bis jetzt hatten die Abtreibungsgegner keinen Erfolg. Aber sie arbeiten auch mit anderen Mitteln: Aufgrund intensiver Propaganda in den vergangenen 20 Jahren zum Beispiel an den Schulen hat es in der Gesellschaft einen Stimmungsumschwung gegeben. Heute ist ein größerer Teil der Bevölkerung gegen das Recht auf Selbstbestimmung. Die Sprache der Abtreibungsgegner beherrscht die öffentliche Debatte. Sie sprechen von ungeborenen Kindern, nicht von Föten, sie sprechen von der Tötung von Kindern, nicht einem Schwangerschaftsabbruch, sie sprechen von Mördern, Mörderinnen und sogar vom Holocaust. Frauen, die verantwortungsbewusst über ihren Körper und ihr Leben bestimmen, werden verteufelt.
Zwischen der offiziellen ideologischen Wahrheit und dem realen Leben von Millionen Frauen besteht eine große Kluft. Laut Schätzungen hatten etwa 4,1 bis 5,8 Millionen Frauen in Polen einen Schwangerschaftsabbruch – die meisten von ihnen sind Katholiken. Diese Frauen werden zum Schweigen verurteilt und herabgewürdigt.
Die Kreuzzügler gehen noch weiter. Kürzlich erst haben über 3.000 Ärztinnen und Ärzte ein „Glaubensbekenntnis“ abgelegt, in dem sie erklären, dass sie Frauen weder bei der Geburtenkontrolle, bei einem Schwangerschaftsabbruch noch bei einer künstlichen Befruchtung helfen werden, weil das gegen „Gottes Wille“ verstoße!
Das stellt viele Frauen vor große Probleme. In einem Fall, über den breit berichtet wurde, musste eine Frau feststellen, dass sie einen Fötus in sich trug, der keine Schädeldecke und somit keine Überlebenschance hatte.
Rein rechtlich hatte sie Anspruch auf einen legalen Schwangerschaftsabbruch. Der Direktor des Krankenhauses, das sie aufsuchte, verweigerte den Abbruch und war auch nicht bereit, ihr eine andere Klinik zu nennen, die ihr helfen könnte. Am Ende war es zu spät – ihr wurde ein Kaiserschnitt aufgezwungen und der Säugling starb kurz nach der Geburt.
Dieser Fall hat große Empörung ausgelöst. Und es gibt Hoffnung, dass diese inhumane Praxis der Bewegung für sexuelle Selbstbestimmung Auftrieb gibt. Auch das Beispiel Irland zeigt, dass solche abscheulichen Fälle zum Auslöser großer Proteste werden und einen Stimmungsumschwung auch in einem überwiegend katholischen Land bewirken können. In Irland wie in Portugal hat die Bewegung für das Recht auf Selbstbestimmung große Fortschritte gemacht.
Diese Beispiele sind auch für uns in Polen ermutigend. Wir benötigen eure Unterstützung für unseren Kampf.
Für uns ist auch wichtig, dass ihr Angriffe auf das Abtreibungsrecht in Deutschland und anderen Ländern abwehrt. Ein Angriff auf euch ist auch einer auf uns – euer Erfolg hilft uns, auch in Polen den Kampf zu gewinnen.
Internationale Solidarität!